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Zeitzeugenbericht von Feuerwehrmann Baumann

Prof. Christhard Schrenk im Gespräch mit Günter Baumann während der Wissenspause

Günter Baumann war Berufsfeuerwehrmann und half beim Löschen 1985 auf der Waldheide.

Schrenk: Der 11. Januar 1985 begann also als […] normaler Tag. Dann hat gegen 14 Uhr die erste Stufe einer Rakete auf der Waldheide gebrannt. Wann und wie haben Sie als Feuerwehr davon erfahren?

Baumann: Die US-Streitkräfte hatten eine zentrale Feuermeldestelle für die Bereiche Neckarsulm und Heilbronn. Dort liefen alle Notrufe zusammen. Von dieser Feuermeldestelle aus gab es eine Direktleitung zu unserer Feuerwehrleitstelle, und über die wurden wir um 14:02 Uhr alarmiert. Unsere Leitstelle hat wiederum Polizei und Rettungsdienst alarmiert. Sie sind dann ebenfalls mit entsprechenden Kräften ausgerückt.

Schrenk: Wie lautete die Meldung, die bei Ihnen einging?

Baumann: Brand eines Lkw. Munitionsexplosion auf einem Lkw im abgesperrten Raketenbereich. Es gibt Schwerverletzte und Tote. 

Schrenk: Hatten die Amerikaner keine eigene Feuerwehr?

Baumann: Nein, die Amerikaner hatten keine eigene Feuerwehr. Aber wir haben innerhalb des Sperrgebiets schon immer wieder Belehrungen und Übungen mit den Amerikanern durchgeführt. 

Schrenk: Das heißt, Sie kannten sich innerhalb des Sperrgebiets aus.

Baumann: Ja. Das ganze Gebiet war in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Es gab den Hochsicherheitstrakt mit den Abschussbasen und es gab die Bereiche ringsum. Schon vor dem Unglück waren wir zweimal zu Begehung im Hochsicherheitstrakt gewesen und haben uns das angeschaut. 

Schrenk: Gab es auf der Waldheide ein Löschwassersystem?

Baumann: Als dort oben die Bauwerke entstanden sind, wurde von den Stadtwerken Heilbronn eine spezielle Löschwasserleitung auf die Waldheide gelegt. Unten, am Anstieg von der Jägerhausstraße gab es eine spezielle Pumpstation, und dann ging es die alte Jägerhaussteige hoch. Auf dem Gelände der Waldheide wurde eine Ringleitung verlegt mit riesengroßen unterirdischen Löschwasserbehältern, die es teilweise heute noch gibt. Unsere Schläuche haben zu diesem System gepasst.

Schrenk: Wann waren Sie oben?

Baumann: 14:03 Uhr sind wir ausgerückt. Um 14:09 Uhr waren wir mit dem ersten Fahrzeug vor Ort. Kurz danach kamen Polizei und Rettungsdienst.

Schrenk: Normalerweise war die Waldheide hermetisch abgeriegelt. 
[…]
Baumann: Alle Türen und Tore standen offen. Soldaten waren keine zu sehen.

Schrenk: Bedeutet das, dass Sie am Unglückstag einfach so auf das ansonsten streng abgeriegelte Gelände fahren konnten, weil alle Kontrollpunkte verlassen waren?

Baumann: So war es. Das Gelände stand offen. Niemand war da.

Schrenk: Woher wussten Sie, wohin Sie fahren müssen, wo genau das Unglück stattgefunden hat?

Baumann: Der Rauch und die Flammen haben uns den Weg gezeigt. Das war eindeutig. 

Schrenk: Welche Informationen hatten Sie über die konkrete Gefahrenlage? Für die Feuerwehr ist ja wichtig, dass sie weiß, was brennt, damit sie fachgerecht löschen kann.

Baumann: Konkrete Informationen über die Gefahrenlage haben wir nicht erhalten. Aber wir wussten, mit welchem Löschmittel man Raketenbrände bekämpfen muss. Diesbezüglich waren wir geschult. Es war ganz klar, dass man hierzu Schaum verwendet. […]

Schrenk: […] Sie sind also mit Ihren Fahrzeugen in die Nähe des Brandes vorgerückt. Was haben Sie dort gesehen? 

Baumann: Wir haben ein Lafettenfahrzeug gesehen. Wir haben einen Lkw mit Ladekran gesehen, und an dem hing noch etwas. Davor lagen verschiedene Behälter, wie es beim Verladen oder Montieren einer Rakete üblich ist. Eine Rakete besteht aus fünf Teilen: Motor 1, Motor 2, dann die eigentliche Lenk- und Steuereinheit, der Radarteil und der Gefechtskopf. Diese Teile werden bereitgelegt und dann mit einem Ladekran auf die Lafette gehoben. Lkw und Lafette waren in Brand. Wir sahen aber nicht die Behälter im direkten Wirkungsbereich des Brandes. Wir wussten, es gibt zwei Raketenmotoren. Der eine hat gebrannt. Und in einer Entfernung von ca. 50 Metern stand ein Behelfsbau oder auch Zelt, wie man es bei Festveranstaltungen auf der Theresienwiese sieht. Die sind aus Aluminium. Von diesem Aluminiumgestell war nichts mehr übrig. Da lag auf den Boden nur noch ein ganz kleiner Haufen zusammengeschmolzenes Aluminium. Und alles, was in dem Strahl des Raketenmotors war, war kaputt. Auch die Menschen, die in diesem Behelfsbau gewesen waren, kamen zu Schaden. Teilweise hatten sie Brandverletzungen. Zwei sind umgekommen. Der dritte wurde gegen das Ladefahrzeug vom Raketenmotor gedrückt. Uns war klar: Wenn wir das Feuer nicht schnell löschen können, dann kann es zu einer Ausdehnung des Brandes durch die zweite Raketenstufe kommen.

Schrenk: Waren die Verletzten und Toten also noch da, als Sie kamen?

Baumann: Ja. Teilweise liefen die Verletzten mit entsprechenden Brandverletzungen herum. Schwerverletzte lagen auf dem Boden. Sie konnten nicht gehen. Glücklicherweise war der Rettungsdienst relativ schnell vor Ort, sodass die Feuerwehr sich auf die Brandbekämpfung konzentrieren konnte. Teilweise haben wir auch geholfen, die Schwerverletzten wegzutragen. Aber die Versorgung hat der Rettungsdienst gemacht.

Schrenk: Wo waren die anderen Amerikaner?

Baumann: Die Amerikaner waren alle verschwunden. Sie waren in Deckung gegangen, weil sie um die Gefahr eines Brandes eines Raketenmotors wussten. Sie hatten sich im geschützten Bereich in Sicherheit gebracht. 

Schrenk: Verstehe ich das richtig: Die Amerikaner haben einen Notruf abgesetzt, und sind dann verschwunden nach dem Motto: Die Feuerwehr von Heilbronn soll jetzt mal ran?

Baumann: Genau so war es. 

Schrenk: Wie waren die Wetterbedingungen an diesem 11. Januar 1985?

Baumann: Es war kalt, etwa minus 7 Grad. Wir hatten 30 Zentimeter Schnee. Die Temperatur war ja eventuell der Auslöser dieses Brandes. 

Schrenk: Hatten Sie Wasser im Einsatz?

Baumann: Wir hatten Löschschaum, aber wir haben auch Wasser zum Löschen benutzt.

Schrenk: Ist das Wasser dann nicht gefroren?

Baumann: Das Wasser muss ständig fließen, dann gefriert es nicht ein. Deshalb darf die Pumpe nicht stehen bleiben. Aber auf dem Schnee ist durch das Löschwasser praktisch eine Eislauffläche entstanden. Da hätte man Schlittschuh fahren können.

Schrenk: Kamen dann nicht doch irgendwann Amerikaner hinzu, um Sie zu unterstützen?

Baumann: Die Amerikaner haben aus dem geschützten Bereich heraus die zu ihnen gehörende Neckarsulmer Einheit alarmiert. Von dort kamen viele Lkw beladen mit Mannschaften. Sie haben hochbewaffnet das ganze Areal abgesichert, sodass niemand mehr heraus und niemand mehr hinein konnte.

Schrenk: Was heißt hochbewaffnet?

Baumann: Jeder Soldat hat ein Maschinengewehr umgehabt und das war für uns eine ganz große Gefahr. Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit einem entsicherten Maschinengewehr im Heilbronner Eislaufstadion spazieren, rutschen aus, und schon geht das Maschinengewehr los. Deshalb ist es uns ganz, ganz mulmig gewesen da oben bei der Brandbekämpfung. 

Schrenk: Drücken Sie damit aus, dass die später aus Neckarsulm angerückten Soldaten nicht nur den Eingang bzw. Ausgang zum Gelände bewacht haben, sondern auch entsicherte Maschinengewehre auf Sie als die im Einsatz befindliche Löschmannschaft gerichtet haben? 

Baumann: Ja. Genau so war es.

Quelle: Wissenspause: Die 1980er Jahre in Heilbronn. Erinnerungen, Erkenntnisse, Aktualität, hg. von Christhard Schrenk, Heilbronn 2020, S. 52-66. [Auszüge]