Wer war informiert über die Stationierung der Atomraketen?
Prof. Christhard Schrenk im Gespräch mit Alfred Huber und Marianne Keller während der Wissenspause
Schrenk: Jetzt kommen wir auf das Thema „Atomraketen in Heilbronn“ zu sprechen. Bekanntlich wurden schon ab 1977 Pershing Ia Atomraketen auf der Waldheide stationiert. Das war öffentlich bekannt. Das war auch kaum umstritten. Bei den Pershing II-Raketen war das anders. Hier wurde von oben versucht, deren Stationierung auf der Waldheide geheim zu halten. Und dann ist die Situation eskaliert. Kann man sagen, dass die Geheimniskrämerei zur Eskalation beigetragen hat?
Huber: Das hat natürlich schon eine große Rolle gespielt. Es gab ja damals noch kein Internet, in dem man recherchieren konnte. Aber ich habe mich intensiv um das Thema gekümmert und auch in Weinsberg bei der Volkshochschule einen Vortrag über die Zahl der Raketen gehalten, die nach Heilbronn kommen sollten: 36. Das wusste bis dahin noch keiner. Es war wichtig, dass man auch Fakten verbreiten konnte.
Schrenk: Am 30. März 1984 kamen die ersten neun Pershing II-Raketen von Mutlangen nach Heilbronn. Einen Tag vorher wurden der Oberbürgermeister, das Kreiswehrersatzamt und die Polizeidirektion offiziell von den Amerikanern informiert, dass die ersten Raketen „in Kürze“ auf der Waldheide eintreffen würden. Die Informierten wussten es also offiziell. Aber sie haben sich alle konsequent an die politisch vorgegebene Linie gehalten, nichts sagen zu dürfen. Trotzdem gab es natürlich immer Gerüchte, und im Grunde wussten die Interessierten von der Existenz der Atomraketen auf der Waldheide. Im Gemeinderat exponierten sich insbesondere der Grünen-Stadtrat Wolf Theilacker und der SPD-Fraktionsvorsitzende Friedrich Niethammer mit der Forderung nach einer Diskussion über die Stationierung von Atomwaffen auf der Waldheide. Oberbürgermeister Dr. Weinmann und vorher auch schon Oberbürgermeister Dr. Hoffmann lehnten diese Diskussionen immer ab, weil es die Vorgabe des Regierungspräsidiums gab, die besagte, dass es sich hierbei nicht um eine lokalpolitische, sondern um eine verteidigungspolitische Angelegenheit handele. SPD und Grüne wollten das nicht akzeptieren, denn es ging aus ihrer Sicht um Heilbronn und um todbringende Raketen auf dem Areal der Stadt.
Keller: Der Oberbürgermeister und die CDU haben sich gegen eine solche Debatte gesträubt. Allerdings war dann irgendwann der Druck der Bevölkerung groß. Und so kam es im Juli 1984 zu dem Beschluss im Gemeinderat mit 19 zu 18 Stimmen, also ganz knapp, dass die Raketen auf der Waldheide unerwünscht seien.
Schrenk: Der Beschluss lautete, dass die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf der Waldheide vorhandenen Raketen unerwünscht sind. Es war aber nicht der Druck der Bevölkerung, sondern vielmehr eine juristische Entscheidung, die Oberbürgermeister Dr. Weinmann seine Haltung ändern ließ. Denn das Mannheimer Verwaltungsgericht entschied, dass eine Kommune, auf deren Gebiet Atomraketen stehen, sich durchaus damit befassen darf. In dieser Situation hat Weinmann seinen Widerstand aufgegeben und die Debatte zugelassen, die mit 19 zu 18 ausging.
Quelle: Schrenk, Christhard (Hg.): Die 1980er Jahre in Heilbronn. Erinnerungen, Erkenntnisse, Aktualität. Heilbronn 2020.